Die tragende Kraft ist Liideschaft
ein Kommentar zum Saisonabschluss 2020/2021
Nun ist's also doch passiert. Nach 24 Jahren im Sommer 2014 in die 3. Liga aufgestiegen, misslingt im verflixten siebten Jahr - eine Corona-Saison mit nur elf statt der gewohnten 22 Matches - der Kampf um den Ligaerhalt. Zur Leidenschaft gehört auch "Leid". Wislig leidet.
Klar, Vorstand und das Team hatten immer als Ziel ausgegeben: Wir wollen Drittligist bleiben. Mit Realitätssinn war allen auch bewusst: Sollte es trotz aufopferungsvollem Kampf irgendwann nicht mehr reichen, dann geht die Welt nicht unter. Steigen wir hingegen ab, weil mitreissende Leidenschaft, wertschätzendes Miteinander, Integration und Förderung jugendlicher Fussballer nicht gelebt oder gar ignoriert werden, dann ist's ein Angriff auf unsere Vereinswerte und bleibt nicht ohne Konsequenzen.
Und - was war es jetzt? Bittere sportliche Realität oder Leidenschaftsverlust?
(Fast) Jährlich grüsst das Murmeltier
Wislig startete seine Drittliga-Odyssee mit zwei hervorragenden Saisons (jeweils Schlussrang 4). In der Saison 2016/17 gab's einen plötzlichen Leistungseinbruch; mit Interimscoach Büchler gelang die Rettung in extremis.
Es folgte ein kurzes Intermezzo mit Christian Nüssli, nach nur einer Halbsaison übernahm Marcel Scherrer. Ohne Druck (SC Barcelona und Glatttal-Dübendorf waren mit hohen Punktabzügen "selbstverschuldete Zwangsabsteiger") sprang Schlussrang 9 heraus. Es folgte eine furiose Hinrunde (2.), die das Anspruchsdenken Einzelner in schwindelnde Höhen schraubte. Schlussrang 6 und 30 Punkte (8 Siege, 8 Niederlagen, 6 Unentschieden, erkämpft mit 83 Strafpunkten für gelbe/rote Karten) war ein solides Saison-Endergebnis, das aber über den Leistungseinbruch der Rückrunde hinwegtäuschte.
Saison 2019/20 fuhren die Wisliger acht Punkte ein (die Rückrunde fiel pandemiebedingt aus), im Strafregister war nur Männedorf "rabiater" als Wislig. Es übernahm Paco Sanchez. Nach einem Auftaktsieg gab's fünf zum Teil heftige Niederlagen, dann ein 4:2 gegen Hinwil. Wieder Saisonunterbruch. Sanchez' Ankündigung eines vorzeitigen Trainer-Abgangs wandelte der Vorstand in "vor-vorzeitig" um.
Das musste mal analysiert werden
Dass sich Sportchef Dani Haag nicht dazu verleiten liess, für die Nach-Corona-Zeit mit maximal drei Nachholspielen einen neuen Trainer zu verpflichten, muss ihm hoch angerechnet werden. Das Innehalten war dringend notwendig.
Schluss mit Hurra-Effekten gefolgt von (wirklich unerklärlichen?) Leistungseinbrüchen. Zuerst sollte die Charakterfrage geklärt werden - schonungslos und auf allen Seiten.
So kehrte mit ihm Olaf Irrgang, vor einem Jahrzehnt Eins-Trainer in Wislig, an die Seitenlinie und auf den Trainingsplatz zurück. For three games only, wobei er im März "ganz ehrlich davon ausgegangen [war], dass der Spielbetrieb nicht wiederaufgenommen wird". Das Ziel war der Ligaerhalt, ja, aber es gab noch ein weiteres Anliegen, womöglich das viel wichtigere: Analysieren, was da los ist, gemeinsam mit einer Clublegende, Marco Girola und mit Dani Haag ("Sportchef hautnah").
Hier ist das Fazit: In 11 Trainingswochen haben ausnahmslos alle, ausser Verletzte und militärbedingt Abwesende sowie ein aus gesundheitlichen Gründen (Corona) individuell trainierender Spieler, voll mitgezogen. Schon nach drei Trainings wurde zielstrebig, aber mit Freude, Spass, Zuversicht - einfach mit einer anderen Mentalität - gearbeitet, gespielt, gelacht. Charakterstark stellten sich alle in den Dienst der Mannschaft, identifizierten sich mit dem ausgegebenen Spielsystem. Die Übungsleiter harmonierten, genossen den Respekt aller, gipfelnd im Wunsch der Mannschaft, dass sie "mal eine ganze Saison bleiben, damit jeder sieht, was in uns steckt". Evidenzbasierte Trainingsmethodik, gegenseitiges Vertrauen, keine Missachtung der Vorbildfunktion, keine Eskapaden, keine Degradierung, nur Aufwertung. In drei Spielen wurde leidenschaftlich gekämpft, systemtreu stemmte man sich gegen Niederlagen (und kassierte nur eine). Die Angst vor eigenen Fehlern war dem Willen gewichen, die der anderen auszubügeln. Codewörter für Tempovariationen statt Schimpfwörter für Schiedsrichter und Fehlpässe. Zweikampfstärke ohne Kartenflut. Youngster, die das "Spiel ihres Lebens" machten (in Wetzikon). Vorbildliche Leitwölfe, integre Teamplayer. Und am Ende? Sportliches Scheitern, ja. Tränen aus Traurigkeit, dann aus Dankbarkeit. Mission 1 misslungen. Mission 2 bei weitem übertroffen.
"Ihnen den Charakter abzusprechen, ist respektlos."
Nicht jeder Wisliger im Eins ist guter Drittliga-Kicker und mit viel Talent gesegnet. Das muss man diesen Spielern nicht sagen, das sehen sie im Spiegel. Sie können sich sehr wohl reflektieren. Ihnen ihre Leistungsfähigkeit oder gar -bereitschaft abzusprechen, ist aber ein absolutes No-Go.
Erstens wäre die Einschätzung falsch (auch wenn jetzt entgegnet wird: Klar können sie's nicht, sie sind ja abgestiegen). Zweitens ist das pädagogisch und psychologisch so ziemlich das Dümmste, was ein Coach machen kann. Stärken stärken ist sinnvoller, als Schwächen ins Zentrum zu rücken oder - noch schlimmer - Schwachen den Rücken zu kehren. Jeder kann etwas zum Erfolg beitragen; wenn er das spürt und sich einbringen kann, dann steigert er sich. Die Jungs durften endlich mal wieder diese Erfahrung machen (und wer's nicht glaubt, kann sie direkt fragen).
Im Breitensport sind Trainer die einzigen im Verein bezahlten "Fachpersonen". Es ist ihre Aufgabe, vorbereitet und reflektiert zu sein, Mentoren Förderbedürftiger, Motivator, Teambuilder, Auslöser und Bewahrer eines positiven Lernklimas, organisatorisch top, gewissenhafte und verantwortungsbewusste Sportbegeisterte mit Vorbildfunktion. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Auf der anderen Seite sind die Spieler einfach junge Menschen, die in Gemeinschaft mit ihren Kollegen ihrem heissgeliebten Hobby intensiver nachgehen wollen als nur an einem Grümpi, weil sie sportlich ehrgeizig sind, lernbereit, keine Wohlfühl-Oase brauchen, aber auch nicht an simulierten Nati-Camps teilnehmen wollen. Sie wollen in ihrer Freizeitbeschäftigung Freude und Wertschätzung erfahren, einem Vorbild folgen.
Vor diesem Hintergrund (Erfahrung in extremis, Rollenklärung) müssen Beschwerden neu beantwortet (und bewertet) werden:
"Mit nur 10 Spielern im Training kann man nicht arbeiten". Stimmt, schafft' ein positives Lernklima!
"Der Vorstand muss dafür sorgen, dass alle mitziehen." Nein, der Vorstand handelt und entscheidet strategisch, nicht operativ. Er vertraut den Trainern, nimmt sie aber auch in die Verantwortung.
"Wenn man jetzt nicht absteigen will, müssen sofort Ehemalige reaktiviert werden?" Nein, Wislig denkt vorwärts.
"Der andere trainiert zwar nicht, wird aber immer spielen. Du kannst nicht kicken, er schon". Stimmt nicht. In diesem Team kann jeder kicken. Niemand ist weniger wert. Wir sind ein Team.
"Mit so einem Trainer hab ich halt Mühe." Auch im Sport gibt's Neubegegnungen, Neustarts, Abschiede. Nimm alles und jeden als Bereicherung; sei flexibel, dann lernst Du - auch von einem völlig Andersartigen.
Neustart auf anderen Gleisen
Wislig soll wieder Zug fahren, nicht Achterbahn.
Das Abstiegsteam war tief betroffen, auch bittere Tränen sind geflossen. Noch stärker aber war die Dankbarkeit für das Wiederentdecken einer gemeinschaftlichen Stärke, Respekt vor der Leistung von jedem. Die Lehren sind gezogen. Ergebnisorientierung wird nicht gekübelt, Spieler werden nicht einseitig in Schutz genommen. Aber jeder wird Leidenschaft leben.
Jetzt kann Sportchef Dani Haag - und das hat er sofort fixiert* - einen Trainer starten lassen, der ein Team übernimmt. Einen, der nicht retten, kitten, aufräumen muss. Keinen, der sich in den ersten Wagen der Achterbahn setzt. Einen Mann wie ein Lokomotivführer, der Fahrt aufnimmt. Neustart auf anderen Gleisen.
*) Der FC Weisslingen kommuniziert noch diese Woche über personelle Weichenstellungen der 1. Mannschaft.