Z.E.N. für Fussballer (und Möchte-Gern-Philosophen)

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Z.E.N. für Fussballer (und Möchte-Gern-Philosophen)

27.3.2020
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Was bleibt uns denn schon anderes übrig? Zurücklehnen. Entspannen. Nachsinnen. Eine etwas andere Sicht auf die schönste Nebensache der Welt.

Lesezeit: 5 Min.

Auch wenn Götterdämmerungspropheten oder Hollywood-Apokalypsen-Movies angekündigt hatten, welches Schicksal uns ereilen wird, wir liessen uns unseren Optimismus nicht nehmen. Gott sei Dank. Trotzdem, nun sitzen wir fassungslos da.

Ob diejenigen von uns, die in der ersten Wahrnehmung besorgt Toilettenpapier hamsterten, andere, die schöne freie Tage bei eitel Sonnenschein in trauter Gspritzter-Wiisser-Runde am Seeufer verbrachten oder jene, die seit der ersten Pressekonferenz auf dem Fernsehsofa (und seither unentwegt an diesem Ort) verweilen, alle wurden überrascht. Ok, alle ausser die Anonymen Apokalyptiker aus Absatz 1.

Keine Einzelperson kann in dieser weltumspannenden Krise mit einer Lösung per (Reset-)Knopfdruck den Ist-Zustand des Herbstes 2019 wiederherstellen. Schade? Hm, vielleicht auch ein Umstand, der gut ist. Nicht gut, dass wir nicht reseten können. Aber gut, dass wir erkennen: Einer allein kann es nicht. WIR können es. Nicht allein er oder sie, nur WIR. Solidarität ist erfolgreicher, friedenstiftender und seit Neuem sogar ökonomischer (!). Anthropologie und Soziologie schlägt Ökonomie. Hat es das jemals gegeben im "No-Limit-Race" der letzten Jahrzehnte?

Die Macht der Dirigenten (oder Intriganten - in diesem Wort sind 9 der 10 Buchstaben die gleichen) wird beschnitten. Genies oder Wahnsinnige, die "Vorwärts immer!", "Wir zuerst" und auch die "Lobet den Herrn der Finsternis"-Rufer - alle lernen das neue Gefühl der Ohnmacht kennen. Konsterniert oder locker-lässig, sie erkennen jetzt oder spätestens in einer Nachbetrachtung, wer wirklich Macht hat, wenn's ans Eingemachte geht: Die Menschen (das sind die, die Mensch geblieben sind!) und zwar im Kollektiv. Egoismus ist out, das Mohnblüten-Syndrom abgehobener Sprücheklopfer der letzten Jahre plötzlich kein Heldentum, sondern erbärmlich. Schön, das sich das ändert.

COVID-19 zwingt uns buchstäblich (die Grossen wie die Kleinen) in die Knie - und zum Nachsinnen. So wie wenn die Lehrerin Nachsitzen angeordnet hat und wir einen Strafaufsatz schreiben müssen. Titel: "Die Büchse der Pandora" (griechische Mythologie; Zeus gab der ersten Frau, Pandora, eine Büchse mit dem Auftrag, sie weiter zu verschenken, aber stets mit dem Hinweis, dass sie nicht geöffnet werden darf; neugierig, wie viele Frauen sind, öffnete Pandora die Büchse selber und schon entwich der Inhalt, nämlich alles Böse und Verhängnisvolle und breitete sich aus, ebenso die stete Hoffnung auf bessere Zeiten).

 

Also, an die Arbeit! Deine Zeit beginnt ... jetzt.

Hätten wir mehr als zwei Stunden Zeit, könnte aus dem Aufsatz ein Buch werden, Frau Lehrerin. Zu viele Fragen, zu viele Kapitel. Thesen und Theorien en masse.

Oder reichen zwei A4-Seiten aus, um beantworten, warum innert fünf Wochen (!) Corona weltweit der CO2-Ausstoss mehr gesenkt wurde, als es in den Absichtserklärungen der Regierungen dieser Welt bis zum Ende des Jahrzehnts (!) als Reduktionsziel steht? Warum halten wir Menschen nicht jedes Jahr einen Monat inne, verzichten auf ein Zwölftel Wachstum, schenken dafür der Natur und uns Zeit zum Durchatmen, Burnout-Vermeiden, einfach Geniessen? Warum war vieles langwierig und "utopisch" angesichts von Fristen für Lesungen und Vernehmlassungen, wenn es doch sofort möglich ist, Milliarden-Hilfspakete durch Parlamente zu peitschen (wieder Gott sei Dank)? Aktiviert eigener Notstand, fremder aber nicht? Wer steht nach der Krise auf der Pole Position jener Kraftbolliden, die die Ethikfrage Wirtschaft oder Menschenleben im Hier und Jetzt beantworten (müssen)?

Cut nach nur fünf Fragen, das Nachsinnen driftet ab ins Uferlose. Schliesslich ist dies hier die Webseite eines Fussballclubs und keines Wirtschafts- oder Gesundheitsmagazins.

 

Wen interessiert das jetzt?

Legen wir für einmal alles beiseite - und stellen nur Krisenfragen den Fussball betreffend.

Wobei allein schon die (Moral-)Frage entsteht, wen das jetzt interessiert. Für Millionen Menschen (siehe oben, wovon die meisten Mensch geblieben sind) geht es nicht nur um die Existenz, sondern ums L-e-b-e-n ! Es gibt wichtigere Themen als Ökonomie im Spitzenfussball, Auf- und Absteiger, ChampionsLeague oder Videoassistenz. In Italien kümmert man sich um Militär-Konvois, die Särge abtransportieren.

Keine Frage, auch im Spitzensport ist die wirtschaftliche Lage prekär, bedauerlich, tragisch. Angestellte, beispielsweise in der Bundesliga 55'000 Beschäftigte, geraten in Not. Auch. So, wie die Angestellten des im Social Media weinenden Bäckermeisters oder des Zürcher Weinhändlers, dessen Gewissen und Mitgefühl gegenüber seinen acht Mitarbeitern und deren Familien, denen er keinen Lohn mehr zahlen kann, zu Tränen rührt. Und ganz ehrlich, uns allen ist manchmal zum Heulen zumute.

Ungern lesen wir in diesen Tagen vom Leid der Millionäre, die sich von Clubs dank utopischer Fernsehgelder, externen Geldgebern wie Scheichs und Ölmagnaten oder aus Hedgefonds bezahlen lassen. Zum Beispiel, weil sie nicht in den Hafen ausreisen dürfen, wo ihre Yacht steht. Oder weil sie nicht wissen, ob ihr Vertrag per 30. Juni endet, wenn dann kein Saisonende ist? Ja, wir hatten Spass an jedem Hype unserer Fussballer, Clubs und Meisterschaften. Und wir glaubten auch, dass ein Tor des Monats für den Spieler beglückender ist als der Blick auf den Kontoauszug. Aber wirtschaftliche Existenzangst, sorry, wirkt im Moment bei anderen Personen, in anderen Unternehmen und Branchen, irgendwie authentischer, als im Sport.

 

Mehr, mehr, mehr ... und dann ab ans Meer

Auf kleinen Fussballplätzen fernab vom Big Sports Business heben seit jeher Senioren den mahnendem Zeigefinger: "Das ist unmenschlich. Irgendwann platzt die Blase." Das sagten sie schon, als Diego Armando Maradona, ein genialer Fussballer, der aber auch mal "die Hand Gottes" zu Hilfe nahm und nach Karriereende vom Hausbalkon auf Journalisten schoss, vom FC Barcelona zum SSC Neapel für umgerechnet 12 Millionen Euro wechselte. Das war 1984. Viele, die heute kicken, lebten da noch nicht. Aber den kennt jeder: Den ersten Transfer, der die 100-Mio-Grenze durchbrach. Gareth Bale 2013 zu Real Madrid. Die Summe bringt auch Opa Ueli auf hundert (nicht Millionen, sondern Puls). Gut hat er noch nicht mitbekommen, wieviel Neymar kostet.

Immerhin, die fünf zahlungskräftigsten Ligen Europas sind durch politische Rahmenrichtlinien der Regierungen in gleichem Umfang stillgelegt. Deshalb entfallen zur Zeit Drohungen, sich schnell und möglicherweise ablösefrei (mit frischem Handgeld für die Agenten) ins Ausland abzusetzen. Wäre Corona keine Pandemie, nur Epidemie in einem dieser fünf Länder, würde so mancher (Noch-)Star in eine andere Liga flüchten. Schade, dieses Wort gebrauchen zu müssen; zuletzt assozierten wir mit "Flüchtlinge" Menschen, die auf Lesbos ankommen.

 

Hochzeit für Zyniker

Was alle, wirklich alle, lernen - ob es ihnen passt oder nicht: Die Stimmung der Menschen erlaubt keine Sonderrechte für Fussball. Es gibt Wichtigeres. Ihr wollt Geisterspiele durchziehen, um Fernsehgelder zu retten? In Italiens Serie A und Spaniens La Liga wäre das eine Geschmacklosigkeit sondersgleichen. Das Hospital Universitario Quironsalud Madrid (2016 gekauft von Helios), wo Hunderte täglich sterben, liegt ganz in der Nähe der Stadien Vicente Calderon und Santiago Bernabeu. Da soll einer Fussball spielen? Für wen? Ah, stimmt, für Euch selber.

Offiziell sind nur die Spiele bis 30. April abgesetzt (auch hier bei uns im Amateurfussball). Manche gehen davon aus, dass man ab Anfang Mai wieder spielen kann. Die genannten "Manchen" sind die Ölmagnaten, Wurstfabrikanten und Bale-Verkäufer (den sie endlich loswerden wollen in Madrid).

 

Wer weiss, wer weiss ...

Offenbar dämmert den meisten Beteiligten noch nicht, wie einschneidend die mittel- und langfristigen Auswirkungen sein werden.

Wir werden gern wieder Matches ansehen, wir lieben Fussball. Mit Opa Ueli gern auch "nur" Amateurfussball, denn bis zum Dorffussballplatz schafft er es noch gut. Hoffentlich übersteht er Corona. Für die Zeit danach freut er sich auf Kicker, die "schönen disziplinierten, schnellen Fussball spielen, wo mich erinnern an meine Zeit früher" (als alles besser war, ja ja, siehe Maradona).

Womöglich werden wir auch wieder Spitzensport-Events verfolgen und im Stadion mitfiebern. Viele von uns aber nur noch dann, wenn der laut Jogi Löw "unbeschreibliche Wahnsinn und die Gier" in Mässigung gekehrt ist.

Warum eine Pflegefachfrau weniger verdient als ein Fussballer, war vor Corona eine angeblich "dumme Frage". Die Antwort der Verfechter des Soccer-Business: Fussball ist ein Geschäft. Ein Star generiert mehr Einnahmen, als er kostet (P.S.: Neulich notierte ein Teammanager, "Spieler X generiert keinen Mehrwert, verkaufen"). Wir wussten und wissen.

Nun gibt es eine neue schwere Gegenargumentation, die endlich ernst genommen werden wird, garantiert: Wir haben verstanden, was wie viel kostet. Aber noch viel mehr wissen wir jetzt, was wie viel WERT ist.

Die Pflegefachfrau wird nie Millionen verdienen und schon gar nicht für 100 Mio. abgeworben. Die Wertfrage ist eine andere; erst recht, weil sie Leben rettet.

 

Auch im FC Wislig wird philosophiert

Wer steigt ab? Oder fangen wir in der gleichen Gruppierung bei Null an? Ist das fair für die, die auf Platz 1 liegen, dem Aufstieg greifbar nahe? Was, wenn auch im Herbst nicht gespielt wird? Gilt dann der Vertrag mit dem neuen Trainer? Nutzungsstudie, Arbeitsgruppe, Sportplatzprojekt Mettlen für eine, zweieinhalb, drei Millionen? Jetzt? Nein, nicht jetzt. Es gibt Wichtigeres.

Bleibt gesund!

Aaaaaber: Irgendwann, wenn wir sagen "Das haben wir im 2020 gelernt: Wir machen, was Wert hat", dann werden wir uns anstrengen, aufzubringen, was es braucht, um Kindern ein sportliches Zuhause zu ermöglichen, gern auch ein Fussballplatz. Es wird gut investiertes Geld sein, auch ohne monetäre Rendite. Vereinsleben ist Gemeinschaft, Zusammenhalt. Miteinander ist wertvoll, eigentlich unbezahlbar. Jetzt wissen wir's!

 

 

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